Eltern und Freunde der Pflege- und Adoptivkinder im Landkreis Verden e.V.

Interview mit Sabine Schubert

Vorstandsmitglied im Bundesverband behinderter Pflegekinder, die für PIVKE e.V. in Achim einen Vortrag zum Thema FAS gehalten hat

Frage: Erzählen Sie uns doch bitte kurz, was Sie mit dem Thema Pflegekinder verbindet.

Antwort: Uns verbindet sehr viel mit dem Thema "Pflegekinder". Seit unserer Bewerbung vor etwas mehr als elf Jahren haben wir uns intensiv damit beschäftigt, an Fortbildungen teilgenommen und, ganz wichtig: Uns mit anderen Pflegefamilien ausgetauscht. Ein Pflegekind war für uns die Möglichkeit, Familie zu sein. Da wir selbst keine Kinder haben können, kam damals für uns nur eine Adoption oder eben Pflege in Frage. Was alles an einem Pflegekind hängt, war uns damals noch nicht wirklich bewusst, mit den Jahren haben wir aber viel dazu gelernt.

Frage: Was war Ihnen denn nicht bewusst? Und was haben Sie (insbesondere) dazu gelernt?

Antwort: Wir haben nicht darüber nachgedacht, dass wir zu dem Kind auch dessen Familie bekommen, Umgangskontakte und Hilfeplangespräche mitunter schwierig werden können. Gerade in unserem Fall, wenn es um alkoholgeschädigte Kinder geht, muss man dieses Thema sehr behutsam bei den leiblichen Eltern ansprechen. Dieses allerdings auch beim zuständigen Jugendamt! Wir haben gelernt, dass wir uns selbst um Unterstützung kümmern müssen, nicht locker lassen dürfen und uns immer wieder für unsere Kinder einsetzen müssen.

Frage: Wie haben denn diese "Schwierigkeiten" das Zusammenleben mit dem Kind, das fördern und unterstützen im familiären Rahmen gestört oder gehindert?

Antwort: Es war belastend, sich immer wieder erklären zu müssen, um jegliche Unterstützung in Form von Entlastung und Therapien zu kämpfen! In Bezug auf unsere große Pflegetochter war viel Kraft und Ausdauer unsererseits notwendig. Kraft und Energie, die wir für unsere besonderen Kinder brauchen. Natürlich haben wir uns oft gefragt, ob die Schwierigkeiten/ Probleme bei uns liegen, letztendlich aber haben wir die Schädigung des Kindes nicht verursacht. Unsere Pflegekinder haben Unterstützung nötig und jede sinnvolle Therapie verdient. Wir Pflegeeltern sollten nicht dafür kämpfen, uns Anwälte nehmen und vor Gericht gehen müssen! Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit gegenseitiger Wertschätzung kann das Pflegeverhältnis sehr entlasten, und gerade in diesem Punkt durften wir auch schon positive Erfahrungen sammeln.

Frage: Können Sie uns schildern, was das Zusammenleben mit einem alkoholgeschädigten Kind bedeutet? Was waren/sind dabei die größten Schwierigkeiten, Probleme, Herausforderungen?

Antwort: Es bedeutet in erster Linie, klare Regeln und feste Grenzen zu setzen, dazu eine ständige Beaufsichtigung (24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche). Man muss an alles denken, in unserem Fall unter anderem: Nirgendwo Seife oder Geschirrspülmittel stehen lassen, verdorbenes Essen sofort draußen in die Tonne zu werfen, damit das Kind es nicht wieder aus dem Müll holt. Beide Kinder nicht alleine miteinander lassen, um Übergriffe zu vermeiden. Eine reizarme Umgebung schaffen, möglichst Spiel- und Schlafbereich trennen. Wichtig ist auch ein regelmäßiger Austausch mit dem Kindergarten/ der Schule, nicht selten muss man immer wieder über FAS aufklären, das Verhalten seiner Kinder erklären und auch "Anfeindungen" hinnehmen. Oftmals wird man als Pflegemutter nicht ernst genommen, die Gutachten bzw. Arztberichte von Fachärzten belächelt. Auch in der Familie und im Freundeskreis ändert sich viel, denn nicht alle Personen erleben unsere Kinder mit all ihren Facetten! Oft bekommt man zu hören: "Ihr seid zu streng", "Lass die Kleine doch" oder "Was ihr da erzählt, ist Unsinn". Mittlerweile besteht unser Freundeskreis hauptsächlich aus Pflegeeltern mit FAS- Kindern, und das tut unglaublich gut! Jeder versteht den anderen, man muss sich nicht rechtfertigen und kann auch mal zugeben, dass man kaputt ist.

Frage: Wie macht sich denn eine Alkoholschädigung konkret bemerkbar?

Antwort: Es gibt Kinder, denen man die Schädigung ansieht (Gesichtsveränderungen, Minderwuchs, etc.). Dies ist aber nur ein kleiner Teil. Den meisten Kindern sieht man wenig bis gar nichts an, und dadurch vergeht oft viel Zeit bis zur Diagnosestellung! Im Vordergrund stehen die Verhaltensauffälligkeiten, wie fehlendes Gefahrenbewusstsein, Regeln nicht erfassen und die Konsequenzen des eigenen Handelns nicht überblicken können. Geringes Schmerzempfinden bzw. Neigung, sich und anderen Schmerzen zuzufügen. Wutanfälle, Störungen der Konzentrations- und Lernfähigkeit... die Liste ist lang, und Pflegeeltern sollten auf jeden Fall zu einem Facharzt (wie Fr. Dr. Spranger in Bremen oder Hr. Dr. Feldmann in Walstedde) gehen, wenn sie den Verdacht auf FASD haben.

Frage: Haben denn alle FAS- Kinder immer alles? Oder gibt es da auch Unterschiede, starke und schwache Ausprägungen oder Abstufungen?

Antwort: Nein. Es gibt in der Diagnostik Abstufungen, FASD wäre das Vollbild mit äußerlichen Merkmalen und den Verhaltensauffäl-ligkeiten. Dann gibt es noch die fetalen Alkoholeffekte, partielles FAS, auch wenn diese Kinder viele Gemeinsamkeiten haben, so sind sie doch alle verschieden stark und schwach betroffen. Zudem geht es auch nicht immer nur um Alkohol in der Schwangerschaft, viele Mütter nehmen zusätzlich Drogen, Ersatzdrogen, Tabletten, etc., und diese Stoffe wirken sich genau so auf die ungeborenen Kinder aus.

Frage: Das verstehe ich jetzt nicht. Sie sagen "Nein", sprechen dann aber doch von Abstufungen?

Antwort: Das "Nein" bezog sich darauf, dass FAS - Kinder eben nicht immer alles haben, nicht jedem Kind sieht man die Schädigung an! Nicht alle sind intelligenzvermindert, haben Wutausbrüche und werden vom sozialen Umfeld ausgegrenzt. Wenn ich da an meine beiden Kinder denke... Unser Zwerg ist sehr beliebt im Kindergarten, hat viele Freunde. Braucht aber lange, um Lerninhalte zu begreifen. Unsere große Tochter hat einen sehr hohen IQ, aber leider hat sie große Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Kindern und Erwachsenen.

Frage: Was empfehlen Sie denn im Umgang mit einem FAS- Kind, das einen hohen IQ hat, aber Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Kindern? Man hört immer wieder, dass FAS- Kinder gar keinen hohen IQ haben können.

Antwort: Das ist schwierig zu beantworten. Unsere Große hat für die Schule eine Ganztagsassistenz, zusätzlich Medikamente. Durch ihren IQ hat sie einen höheren Leidensdruck, denn Ausgrenzung und bemerken, dass man anders ist als andere Kinder, frustriert enorm! Was den sozialen Bereich angeht, haben wir ja Kontakt zu anderen Pflegeeltern und deren Kindern, zusätzlich haben wir oft eine Einrichtung des Bundesverbands für behinderte Pflegekinder genutzt. Einmal im Monat gibt es dort ein Entlastungswochenende für Eltern. Für die Kinder eine tolle Möglichkeit, mit anderen, besonderen Kindern zusammen zu sein, Spaß zu haben und einfach mal dazu zu gehören.

Frage: Wie hat Ihre Tochter den Schulalltag gemeistert? Wurde auf die Hochbegabung eingegangen?

Antwort: Sie konnte den Schulalltag nur in Begleitung ihrer Assistenz und eben auch den Medikamenten schaffen. In den Pausen wurde sie ebenfalls ständig beaufsichtigt, in schwierigen Situatio-nen konnte so schnell eingegriffen und die Situation entschärft werden. Nach kleinen, anfänglichen Schwierigkeiten war der Kontakt und der Austausch mit der Schule/Lehrerin gut, unser Kind bekam oft die Möglichkeit, den Lernstoff in einem anderen Raum mit ihrer Assistenz alleine nachzuarbeiten, und auch Klassenarbeiten durfte sie nachschreiben. Durch die Medikation konnten Wutausbrüche vermindert und die Konzentration gesteigert werden, das Verhältnis zu den Mitschülern blieb aber problematisch.

Frage: Sind Medikamente sinnvoll?

Antwort: Dabei kommt es ganz aufs Kind an. Wir haben bis zum Schuleintritt auf Medikamente verzichtet, dann ging es leider nicht mehr ohne. Mit dem Facharzt wird genau besprochen, welche Medikamente in welcher Dosis verabreicht werden, wobei man immer sehr niedrig beginnt. Dr. Feldmann sagte damals zu uns, wenn das Kind leidet und unglücklich ist, sollte man mit Medikamenten anfangen - damit es, so gut es geht, an einem normalen Alltag teilnehmen kann. Wir unterstützen diese Aussage!

Frage: Eine abschließende Frage: Sie sind sehr aktiv im Bereich Pflegekinder und FAS. Was wünschen Sie sich von anderen Beteiligten für diese Arbeit?

Antwort: Ich wünsche mir Unterstützung, eine gute und ehrliche Zusammenarbeit. Gerade erst war ich mit dem Bundesverband auf einer Fachtagung in Frankfurt, wo wir zusammengetragen haben, was Pflegeeltern in Zusammenarbeit mit Jugendämtern und Trägern brauchen. Es wäre wünschenswert, wenn die Jugendämter offener mit uns und den Besonderheiten der Pflegekinder umgehen, um so dauerhafte Pflegeverhältnisse zu stärken.