Eltern und Freunde der Pflege- und Adoptivkinder im Landkreis Verden e.V.

Interview mit Cyra Symalla

Pflegemutter, Familienhelferin und Verfahrensbeiständin

Frage: Erzählen sie uns, was Sie für eine Beziehung zum Thema „Pflegekinder“ haben?

Antwort: Ich bin seit über 20 Jahren Pflegemutter. Das kam eigentlich dadurch zustande, dass wir im Freundeskreis eine Familie hatten, die schon ein Pflegekind aufgenommen hatte. Wir hatten damals schon drei leibliche Kinder und haben gedacht, wir haben noch Platz und Zeit und Kraft, noch ein Kind bei uns groß werden zu lassen. Und so kam dann damals, also vor zwanzig Jahren, ein knapp dreijähriger Junge zu uns.

Frage: Und der lebt jetzt auch noch bei ihnen?

Antwort: Sozusagen. Nach einer Phase der Selbständigkeit hat er sich beruflich umorientiert und ist in der Woche nie zu Hause. So war ihm die Unterhaltung einer eigenen Wohnung zu teuer und er hat gefragt, ob er nicht wieder bei uns einziehen könne. Da haben wir natürlich nicht nein gesagt. Jetzt kommt er häufig an Wochenenden. Eine eigene Wohnung hat er aktuell nicht.

Frage: Hätten sie damals gedacht, dass ihnen das Kind so lange erhalten bleibt?

Antwort: Naja. Wir sind da eigentlich so ran gegangen, wie das mit einem leiblichen Kind auch wäre. Zu denenhat man ja auch Kontakt, auch wenn sie nicht mehr zu Hause leben. Man telefoniert oder schreibt sich und weiß, was die Kinder so tun. Und so ist das mit unserem, jetzt erwachsenen, Pflegesohn eben auch.

Frage: Und hatten Sie während der Zeit, wo die Kinder bei ihnen lebten, auch viel mit den jeweils zuständigen Jugendämtern zu tun?

Antwort: Ja. Da bin ich eigentlich mit den Jahren immer mehr reingewachsen. Kaum waren wir Pflegeeltern, sahen wir uns als Beteiligte in einem familienrechtlichen Verfahren. Also, nicht offiziell Beteiligte, aber wir waren Pflegeeltern und die Kindesmutter hatte seinerzeit einen Umgangsantrag gestellt. Und so kamen wir als Pflegeeltern gleich in den Genuss, auch zu erleben, wie es ist, an einer psychologischen Begutachtung teilzunehmen. Und das gab letztlich den Ausschlag, für die berufliche Tätigkeit, die ich heute noch ausübe. Ich habe viele Jahre später gelesen, dass es inzwischen eine Weiterbildung zur, es Verfahrenspflegerin, gab. Die habe ich dann im Jahr 2000 absolviert und arbeite seitdem als, wie sie heute heißen, Verfahrensbeiständin.

Frage: Nochmal zum familiengerichtlichen Verfahren. Was hätten sie sich damals gewünscht? Wie fühlten sie sich als Beteiligte an einem solchen Verfahren?

Antwort: Wir haben auch damals schon einfach unseren Mut zusammen genommen und haben uns als Pflegeeltern auch ans Gericht gewandt, also ohne von irgendwelchen Formalien Ahnung zu haben. Also, wir haben damals auch einen Brief an den Richter geschrieben und irgendwie versucht, uns einzubringen. Also, was ich mir anders gewünscht hätte: Ich hätte mir das Jugendamt anders gewünscht, denn auch damals ging es eigentlich schon darum, dass wir sofort für dieses Kind kämpfen mussten. Dass das Jugendamt eigentlich der Meinung war, dass die ganze Sache für uns zu schwierig sei auf Dauer, und ob dieses Kind nicht doch besser hätte in einer Wohngruppe untergebracht werden soll. Da haben wir uns damals auch schon vehement gegen gewehrt.

Frage: Und haben sie das Gefühl, das war gut, dass sie so gekämpft haben?

Antwort: Ja, auf jeden Fall. Sonst wäre er ja nicht bei uns groß geworden.

Frage: Man hat manchmal so das Gefühl, dass Pflegeeltern sich nicht richtig trauen, zu kämpfen. Weil sie dann vielleicht Angst haben, das Kind wieder zu verlieren oder ähnliches.

Antwort: Ja, genau. Das habe ich damals schon laufend gehört: "Oh, man weiß ja nicht, wie das Gericht dann reagiert, wenn sie so und so agieren". Das war also immer mehr so von Seiten des Jugendamtes zu beschwichtigen und mehr so der Appell, dass wir uns zurückhalten sollten.

Frage: Was würden sie Pflegeeltern empfehlen, wenn sie in eine solche Situation kommen?

Antwort: Sich einzusetzen. Auch zu versuchen, beteiligt zu werden.

Frage: Sollte man dem Kind sagen, dass man sich einsetzt, dafür kämpft, vor Gericht zieht oder eher nicht?

Antwort: Das finde ich ganz schwer. Das muss man im Einzelfall entscheiden. Also, ich habe auch oft jetzt in meiner beruflichen Tätigkeit als Verfahrensbeiständin durchaus ein Problem damit. Kinder sollen ja beteiligt werden, aber da gehört natürlich auch viel Fingerspitzengefühl dazu, jetzt zu gucken, wie viel Beteiligung kann so ein Kind tatsächlich gebrauchen? Oder wie gut ist es, überhaupt schon von den Pflegeeltern informiert zu werden. Also, bei uns entstehen solche Gespräche irgendwie oftmals am Abendbrotstisch, oder so. Also Gespräche über die rechtliche Situation. Ich lebe immer noch mit zwei jugendlichen Pflegekindern jetzt in der Familie, und da haben wir manchmal ganz spontan gute Gespräche, die sich einfach so entwickeln. Aber jetzt gezielt Informationen zu geben, überfordert ein Kind manchmal.

Frage: Sie führen in ihrer beruflichen Tätigkeit sehr viele Gespräche mit Kindern, die als Kind in einer Pflegefamilie leben?

Antwort: Ja. Ich führe natürlich auch noch mehr Gespräche mit Kindern, die nicht in Pflegefamilien leben. Der Großteil der Fälle, in denen eine Verfahrensbeiständin bestellt wird, sind Sorgerechtsstreitigkeiten zwischen leiblichen Eltern oder Umgangsstreitigkeiten. Aber klar, wenn ich mit Pflegekindern spreche, das ist natürlich mein besonderes Interessengebiet. So habe ich eigentlich auch damals meine Ausbildung angefangen, mit dem Ziel, gerade auf diesem Gebiet tätig sein zu wollen. Aber das ist natürlich nicht der praktische Alltag.

Frage: Sie haben also selten oder eher weniger mit Pflegekinderfällen zu tun. Da wird das ja anderen Beteiligten, zum Beispiel Richtern, auch so gehen, dass sie eher selten mit solchen Fällen zu tun haben. Oder?

Antwort: Ja, natürlich. Dann kommt es darauf an, den Richter dafür zu sensibilisieren, dass man ein Pflegekind vor sich hat und dass das eine grundlegend andere Sache ist, als beispielsweise Umgang zwischen Trennungskindern und dem Elternteil, bei dem sie nicht leben. Also, ich glaube, da hat sich in den letzten Jahren auch viel getan. Dass doch mehr Bewusstsein dafür entstanden ist, wenn ein Kind tatsächlich in Dauerpflege ist, Gerichte nicht mehr der Meinung sind, dass nun alle zwei Wochen Umgangskontakte stattfinden müssen. Das Fachwissen ist größer geworden, eben zu sehen, dass es einen Unterschied gibt zwischen Umgang mit Eltern, mit denen ich zusammengelebt habe und an die ich im besten Fall eine verlässliche Bindung habe, und leiblichen Eltern, zu denen die Beziehung belastet ist.

Frage: Wo würden sie sagen, ist der Hauptunterschied, wenn man Umgangsfragen diskutiert? Von Trennungs- und Scheidungskindern und Pflegekindern?

Antwort: Es ist davon auszugehen, dass Trennungskinder zu beiden Elternteilen von Grund auf eine vernünftige Beziehung gehabt haben, eine gute Bindung zu beiden Eltern hatten. Und dass diese Beziehung auch weiterhin aufrecht erhalten werden soll. Während Pflegekinder, wenn in ihrer Familie alles in Ordnung gewesen wäre, dort ja nicht herausgenommen worden wären.

Frage: Sie sprechen als Verfahrensbeistand ja auch mit den leiblichen Eltern. Ist das schwer, ihnen die Situation zu erklären? Wir erleben ja oft, dass die leiblichen Eltern, auch wenn das Kind in einer Pflegefamilie lebt, möglichst viel Umgang haben wollen und gar nicht so richtig verstehen, warum das so wenig sein soll. Wie ist also ihre Erfahrung in der Arbeit mit den leiblichen Eltern?

Antwort: Im Prinzip ganz positiv. Viele leibliche Eltern sind dafür zu gewinnen, das Kind in den Fokus zu stellen und darüber nachzudenken, was das für ein Kind bedeutet, wenn es beispielsweise monatlich durch Umgangskontakte aus dem jetzt vertrauten Alltag in der Pflegefamilie gerissen wird und immer wieder damit konfrontiert wird, was es in der Vergangenheit erlebt hat, was zum Auseinanderbrechen der Herkunftsfamilie führte. Viele Pflegekinder brauchen ja Tage, um nach einem Umgangskontakt wieder „in der Spur“ zu sein, das kann die Entwicklung immer wieder zurückwerfen. Ich erlebe schon Eltern, die sich auch zurück nehmen können, die also auch mit Umgang dreimal oder viermal im Jahr zufrieden sind. Und sich über Fotos freuen, also man muss die Eltern irgendwie auch ein wenig mit ins Boot holen.

Frage: Es wird oft diskutiert, ob die Arbeit des Jugendamtes mit den leiblichen Eltern noch intensiviert werden könnte. Man hat manchmal so das Gefühl, dass nachdem Kinder rausgenommen worden sind, die Arbeit der leiblichen Eltern stagniert. Haben Sie das auch so erlebt?

Antwort: Ja, auf jeden Fall. Das wäre sicherlich wünschenswert, wenn die Jugendämter da mehr Kapazitäten hätten. Also in einigen Fällen erlebe ich da auch positive Beispiele, aber das müsste schon noch mehr sein. Ist ja eigentlich auch gesetzlich so vorgesehen, oder?

Frage: Wobei man auch immer wieder Beteiligte erlebt, die das Thema Kontakt zu den leiblichen Eltern sehr stark in den Vordergrund stellen. Die Traumatisierungen und Vernachlässigungen als nicht so wichtig ansehen wie Kontakt zu den leiblichen Eltern. Manchmal habe ich so das Gefühl, dass auf den Aspekt des Kontaktes zu den Herkunftseltern sehr, sehr intensiv der Fokus gelegt wird. Das es daneben kein anderes Thema gibt.

Antwort: Das erlebe ich auch. Aber weniger bei den Jugendämtern, eher bei den Gerichten.

Frage: Was würden sie sich in Ihrer Arbeit als Verfahrensbeiständin wünschen? Von den anderen Beteiligten? Speziell bezogen auf Kinder, die in Pflegefamilien leben.

Antwort: Ich würde mir mehr Gespräche wünschen. Es ist kaum zu glauben, wie schwierig es manchmal ist, sich mit mehreren Beteiligten an einem Tisch zusammen zu finden. Außerdem wünsche ich mir mehr Unterstützung der Pflegefamilie durch das Jugendamt. Ich habe oft das Gefühl, dass man mehr gegeneinander als miteinander arbeitet. Man kommt ja als Pflegeeltern leicht mal an einen Punkt, wo man sagt, ich kann jetzt nicht mehr. Weil die Kinder so auffällige Verhaltensweisen zeigen. Hier leisten Jugendämtern oft nicht genug Unterstützung, sondern zweifeln eher die Kompetenz der Pflegeeltern an.

Frage: Pflegeeltern haben ja ganz schnell Angst davor, dass das Jugendamt ihnen das Kind wegnehmen will. Jugendämter denken immer gleich, kaum ist der erste Kontakt zu den Herkunftseltern da, kotzt das Kind in die Ecke. Nach deren Sicht klammern Pflegeeltern und wollen das Kind nur für sich haben. Da wird manchmal sicherlich auch viel mit Stereotypen und Vorurteilen gearbeitet und gedacht.

Antwort: Ja, das ist sicherlich so. Natürlich gibt es Pflegeeltern, die eigentlich nur zufällig Pflegeeltern geworden sind, eigentlich wollten sie Adoptiveltern werden. Damit sie ein Kind für sich haben und sind dann also dafür gewonnen worden, Pflegeeltern zu werden, die aber letztlich eigentlich immer in der Sorge leben, das Kind könnte vielleicht wieder gehen.

Frage: Aber ist das nicht auch nachvollziehbar?

Antwort: Natürlich, absolut.

Frage: Ist es für ein Kind nicht auch wichtig, dass die (Pflege-) Eltern es für sich haben wollen? Eltern die das Kind eigentlich gar nicht unbedingt für sich haben wollen, sind auch nicht unbedingt gut für ein Kind, oder?

Antwort: Das ist natürlich eine sehr suggestive Frage. Ich bin da inzwischen gar nicht mehr so sicher. Also, ich habe in meinen pubertierenden Pflegekindern, die allerdings auch beide älter waren, als sie zu uns gekommen sind, auch sehr oft gemerkt, wie wichtig oder wie groß ihr Interesse auch an der Herkunftsfamilie irgendwie ist. Man darf das schon nicht unter den Tisch fallen lassen. Also, wir haben zwar nie Kontakte mit den leiblichen Eltern aus verschiedenen Gründen, aber meine Pflegekinder haben alle viele Geschwister. Und diese Geschwisterkontakte sind sehr wichtig. Ich glaube, das ist schon ein Teil von dem Kind und man kann und sollte das auch auf gar keinen Fall, unterbewerten. Bei uns spielt das auch schon eine Rolle. Die Kinder haben Bilder von ihren Familien. Seit wir WhatsApp und Facebook haben, kann man auch überhaupt gar nicht mehr verhindern, dass Pubertierende versuchen, Kontakte aufzubauen, also besser ist es, man geht da offen mit um, glaube ich.

Frage: Was heißt "offen mit umgehen"? Also, muss ich irgendwann mal an den runden Tisch und sagen, so, mein Kind, wir haben was Wichtiges mit dir zu besprechen?

Antwort: Nein. Vielleicht ist es schwieriger, wenn die Kinder wirklich ganz klein zu einem gekommen sind, so dass sie sich daran schlicht nicht erinnern. Also, den Fall hatten wir nicht. Bei uns war es immer so, dass irgendwelche Geschwister in anderen Familien untergebracht waren und wir dann von Anfang an mal Besuchskontakte mit den Geschwistern hatten. Dadurch war es immer ein Thema, dass wir nicht die leibliche Familie sind. Und auch die Situation, warum die Kinder nicht in den Herkunftsfamilien leben, das ist irgendwas, wie ich vorhin schon sagte, was öfter mal zufällig, nicht, weil man das plant, als Gespräch auf den Tisch kommt.

Frage: Hatten Sie immer ausreichende Informationen über ihre Pflegekinder? Hat das Jugendamt alle Informationen gegeben, die es gab oder die Sie haben wollten, oder gab es da auch Lücken? Ein dreijähriges Kind hat ja schon eine recht lange Geschichte, die es mitbringt.

Antwort: In unserem Fall sind wir gut informiert worden.

Frage: Was würden sie Menschen empfehlen, die sich überlegen, ob sie ein Kind als Pflegekind aufnehmen? Worauf sie sich einlassen, auf was sie achten sollten, auf was sie sich vorbereiten sollen?

Antwort: Sie dürften nicht zu sehr das Idealbild von einer heilen Familie haben. Sie müssen wirklich eine Menge aushalten. Ich habe als Pflegemutter immer das Gefühl gehabt, wenn ich mit Eltern gleichaltriger Kinder sprach, also Eltern von leiblichen Kindern, dass die, wenn man bestimmte Verhaltensweisen eines Kindes beschrieb, immer sagen "jaja, das kenn ich". Und viele Pflegeeltern haben mir bestätigt, dass man als Pflegeeltern immer denkt, nein, genau das kennen die gerade nicht. Weil bei Pflegekindern bestimmte Verhaltensweisen einfach eine ganz andere Qualität haben.

Frage: Was würden Sie Pflegeeltern empfehlen, wie sie sich stärken können, kompetent machen können? Wie sie gut gewappnet sind für das Zusammenleben?

Antwort: Ich finde, für Pflegeeltern ist es einfach ganz wichtig, dass man sich mit anderen austauscht und sich vernetzt. Und eben dann auch Unterstützung holen kann. Manchmal hilft es auch, einfach ein Kind mal einen Nachmittag abzugeben, um wieder Luft zu schöpfen. Andere Pflegeeltern verstehen das meistens noch besser. Mir hat es auch immer geholfen, ein bisschen Theorie zu „tanken“ – also Fortbildungsveranstaltungen zu besuchen. Das eine oder andere Buch anzuschaffen, im Internet zu recherchieren.